Port Blair N 11°41.334‘ E 092°42.580‘
Wir lassen deutsche Pünktlichkeit walten und steuern es, dass wir genau auf die angekündigten acht Uhr in Port Blair einlaufen. Wie verlangt funken wir auch schon zwei Stunden vor Ankunft, doch der UKW-Empfang ist noch schlecht. Unsere Schuldigkeit haben wir getan.
In die freudige Erwartung, die normalerweise vor fremden Gebieten von uns Besitz ergreift, mischt sich ein Bauchgrummeln. Zu viele Geschichten haben wir über die Bürokratie hier gehört. Deshalb haben wir uns auch entschieden, einen Agenten zu nehmen. Wir möchten hier nicht unnötig Zeit verschwenden – uns zieht es hinaus in die Unterwasserwelt der Andamanen.
Über Funk geben wir alle unsere Angaben, wie Bootsname, Länge, Tiefgang, Heimathafen, Anzahl der Crew, keine Passagiere, Name des Kapitäns, auch seine Nationalität, Geschwindigkeit über Grund etc. pp. allen nochmals durch (Port Blair Port Control, der Küstenwache, noch mal der Port Control) durch, auch wenn unser Agent Ashraf uns zuvor schon mit all diesen Daten angekündigt hatte, und erbitten die Genehmigung, in den Hafen einzulaufen. Diese wird uns schließlich erteilt und ein Ankerplatz westlich des Chatham Island zugewiesen. Keine genaue Position, wir sollen uns nur vom Fahrwasser freihalten.
Auf den ersten Blick wirkt Port Blair wie im Hafenhandbuch beschrieben: Trubelig, ein Hafen, in dem auch große Containerschiffe anlegen, deren Abgase wir deutlich riechen. Nach ein paar Tagen auf See ist der Geruchsinn immer extrem empfindlich. Die einstige englische Besatzung schlägt hier deutlich durch. Wir könnten auch in St. George in Grenada gelandet sein. Alte Kolonialhäuser schmücken die Hänge, Palmen wiegen sich im lauen Wind. Viel Grün und bunte Häuser leuchten in der Morgensonne auf. Port Control weist uns an, die Officer der Immigration um 9 Uhr vom Steg abzuholen. Ich schicke unserem Agenten Ashraf von Island Travel eine SMS übers deutsche Handy, weil anrufen nicht geht.
Die Beamten sind fast pünktlich, es sind allerdings zwei von der Zollbehörde, die mit dem sehr sympathischen Ashraf den Start der Prozeduren machen. Meine SMS kam sogar an, auch wenn er nicht auf ausländische Telefone antworten kann. Zur Begrüßung gibt es erst einmal ein dickes Lob. Wir sind wohl die ersten Deutschen, die so gut Englisch sprechen seit langer Zeit. Das erstaunt uns zwar, da die, die wir kennen, eigentlich alle der englischen Sprache mächtig sind, aber es freut natürlich. Der Port Control-Offizier hat wohl mehrfach nachgefragt, ob ich wirklich deutsch bin. Ich bedanke mich artig und verschweige, dass wir die ganzen navigatorischen Begriffe nach den 14 Jahren im Schlaf herunterbeten können. Wer schwächt schon freiwillig ein Lob ab?
Einer der Beamten, der mit seiner weißen Uniform um die Wette strahlt und von „seinen“ schönen Inseln schwärmt, macht das etwas Griesgrämige seines braungewandeten Gegenübers – ein echter Inder mit Zeichnung auf der Stirn – wieder wett. Höflich und freundlich sind sie und ziehen sogar ihre Schuhe aus, als sie das Innere des Schiffes betreten. Sie freuen sich über unsere vorbereiteten Stapel an Kopien von Schiffspapieren, Pässen, Visa, Ausklarierungspapieren etc. Vorbeugend haben wir auch schon den Drucker mit integriertem Scanner/Kopierer bereitgestellt, den wir extra noch in Thailand gekauft hatten, weil wir feststellen mussten, dass man für einen Epson-Drucker, den man in Australien kauft, auch nur in Australien die passenden Ersatzpatronen erhält. Man lernt doch nie aus. Besonders die Liste mit dem Schiffsinventar interessiert sie und wir sind froh, alles angegeben zu haben, was ihnen ins Auge sticht.
Mit der Zeit taut auch der Braungewandete auf – vielleicht war es der leckere Passionsfruchtsaft, den wir ihm kredenzen – und ich darf sogar ein Foto schießen. Der weiße Strahlemann freut sich und fotografiert unsere Runde gleich ebenso.
Als sie uns fragen, wie lange wir bleiben möchten, geben wir gleich mutig 30 Tage an, auch wenn in unserem Visum nur 15 Tage gestempelt ist. Strahlemann ist begeistert und sagt, das sollen wir mindestens ausnutzen. Wir hoffen …
Die erste Hürde ist schon wesentlich einfacher geschafft als befürchtet.
Es folgen vier Jungs von der Immigration, die Hajot – eine gute halbe Stunde später – abholen kann. Wieder dauert es ein paar Minuten – und zwei Gläser Fruchtsaft – bis sie auftauen, aber dann geben sie uns – zusammen mit Ashraf – die Tipps, was wir in unseren Zeitplan für den Törn eintragen dürfen. Tagesgenau müssen wir festlegen, wo wir wann hinfahren wollen. Viele Inseln sind Sperrgebiet, weil dort noch ursprünglich lebende Stämme hausen, die nicht mit der Zivilisation in Verbindung gebracht werden sollten. Dies ist für uns völlig in Ordnung. Unseren Unmut darüber, sich so genau im Vornehinein festlegen zu müssen, verbergen wir. Die wenigen Segler, die hierher kommen, haben noch nicht das Verständnis geweckt, dass man sich in unserem Sport nach Wind und Wetter richtet und nicht nach strengen Vorgaben. Die dreißig Tage Aufenthaltsgenehmigung sind überhaupt kein Thema und werden unbesehen bewilligt.
Da die lunch time naht, wird die Küstenwache erst um 13 Uhr bei uns eintreffen. Die Sonne lacht vom Himmel und zu gern hätten wir die Pause genutzt, um ins Wasser zu springen. Doch die Salzwasserkrokodile, die hier hausen und sich schon einige einheimische Fischer einverleibt haben, reduzieren die Attraktivität des Badegewässers deutlich. So nutzen wir die Zeit für ein spätes Frühstück. Es wird fast 14 Uhr bis die fünf Männer in ihrem eigenen Schlauchboot bei uns eintreffen, während Hajot nur Ashraf vom Steg abholt. Getränke lehnen sie – direkt nach dem Essen – ab. Sie sind wieder höflich, fragen auch, bevor sie Bilder von sämtlichen Details des Schiffes machen (besonders der Tiefenmesser interessiert sie. Wichtig: Niemals ein Echolot angeben, es immer als Fishfinder betiteln!). Auch das Innere wird (ohne Schuhe ausziehen) inspiziert und genauestens fotografiert. Wobei wir eher den Eindruck haben, dass es Neugierde ist. Der Chef der Truppe entschuldigt sich für die Fragen, die er uns stellen muss, dennoch werden wir in bestimmten Tonfall auf die Einhaltung aller Regeln hingewiesen. Nach dem offiziellen Teil machen wir noch ein gemeinsames Fotoshooting auf dem Vordeck und nun folgt nur noch der Hafenmeister, den wir an Land besuchen dürfen. Mit dem Taxi geht es dorthin.
Gefühlt herrscht im Hafenamt Geschlechtertrennung. Frauen in farbenfrohen Gewändern sitzen hinter den Schaltern, während die Männer in westlicher Kleidung – meist Hemd und Jeans oder Bundfaltenhose – die „Büroarbeiten“ erledigen. Der oberste Hafenmeister ist noch unterwegs, so dürfen wir im Büro eines Beamten Platz nehmen. Die übliche Auftauzeit, dann läuft die Unterhaltung an. Wieder bekommen wir ein paar Tipps zu den Gebietsinfos und Ashraf erzählt uns über die Lebensweise hier. Sämtliche Religionen sind auf den Inseln vertreten und es ist so ein eigener kleiner Mikrokosmos. Auch essenstechnisch sind alle Richtungen vertreten – von südindisch bis in den Norden, von sehr scharf bis süß. Zum Frühstück wird hier Brot gegessen. Die Insulaner kommen kaum aufs Festland – zu teuer sind die Flüge für den Verdienst der Normalbürger.
Die Wartezeit nutzen wir auch, um uns unauffällig im Büro umzuschauen. Es gibt keinen Computer, dafür Berge von Akten, die sich auf dem Schrank türmen. Für den Papierkram alleine in diesem Raum musste schon der ein oder andere Baum sein Leben lassen.
Gefühlt Stunden später ist endlich der Hafenmeister zu sprechen. Wir werden sehr freundlich und offen begrüßt. Er beklagt – wie auch schon seine Vorgänger – die wenigen Yachten, die kommen. Wieder erwähnen wir vorsichtig, dass viele von der Bürokratie abgeschreckt werden. Ob das etwas ändern wird? Wir wissen es nicht. Auf jeden Fall sind wir froh, Ashraf bei uns zu haben, der sicherlich die ein oder andere Woge hinter unserem Rücken geglättet hat. Wir erfahren, dass momentan noch ein anderer Segler hier in dem Gebiet unterwegs ist. Wow! Ein anderer. In einem Gebiet, das so groß ist, wie Belgien und die Niederlande zusammen. Da sind wir ja gespannt, ob wir die treffen werden.
Noch ein warmer Händedruck und schon sind wir – gefühlte Hektar an gefälltem Regenwald in Form von Papieren – mit der Taimada ganz offiziell auf den Andameninseln angekommen.
Vishij, unser Taxifahrer mit dem coolen Auto der einheimischen Marke, bei der er noch beim Abbiegen die Hand aus dem Fenster strecken muss, weil wahrscheinlich kein Blinker vorhanden ist (oder nicht tut), steht uns schon zu Diensten.
Da ich dringend auf die Toilette muss, fahren wir zuerst zu Ashraf ins Büro. Es gibt sogar die „western style“ – eine richtige Schüssel, allerdings im einheimischen Stil mit manueller Wasserspülung. Ob das Wasser hier rost- oder mineralienhaltig ist, weil alles braun gefärbt ist? Da wir dringend eine Handykarte kaufen wollten und dies wieder unendlichen Papierkram bedeutet, bekommen wir kurzerhand die von Ashrafs Fahrer für unsere Zeit hier geliehen. Wie praktisch. So fährt uns Vinshij nur – nach dem Geld besorgen am Bankomaten – zum Auftoppen und Internetpaket besorgen. Allerdings müssen wir uns mit der Funktionalität umstellen. Das Telefonnetz streikt zeitenweise und Internet funktioniert aktuell gar nicht. Vielleicht wegen Überlastung. Doch es soll noch einige Zeit ins Land gehen, bis wir das nutzen können.
Der Ort ist laut (für unsere seeluftgewohnten Nasen nach Abgasen stinkend) und trubelig. Auf dem Markt gibt es alles zu kaufen, was das (einheimische) Herz begehrt. Unzählige Stände, viele Menschen in – besonders die Frauen – farbenfrohen Gewändern zeigen das pralle Leben. Wir sind noch müde von der Überfahrt und der letzten Nacht mit kaum Schlaf, das überfordert uns, so weisen wir ihn an, nur zur Tankstelle zu fahren und unsere Diesel-Kanister zu füllen, bevor wir – nach einem Abschied von Ashraf, der noch mal zum Hafen kommt, um zu sehen, ob alles okay ist – zurück zu unserem Dinghy gehen. Wolverine (zumindest sieht er so aus) hat brav auf unser Dinghy aufgepasst, dass es nicht an der Mole scheuert und sich seinen Obolus von 150 Rupien wohlverdient.
Was man wissen muss: Auch Vishij – der Taxifahrer – muss für die komplette Zeit ab Entgegennahme der Dieselkanister bezahlt werden mit 250 Rupien pro Stunde (ca. 3,50 Euro), also insgesamt 4 Stunden. Wer sparen will, sollte also vielleicht anders disponieren und die Kanister zu einem späteren Zeitpunkt füllen. Wir haben wenigstens Zeit gespart.
Totmüde fallen wir in unsere Kojen und holen erst mal den Schlafmangel der Überfahrt wieder auf. Und sind gespannt, was uns hier in nächster Zeit erwarten wird.